
KI ist inzwischen fester Bestandteil unseres Lebens und Arbeitens. Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir KI nutzen, sondern wie: Können wir sie als Werkzeug einsetzen, das uns unterstützt, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren? Wie gelingt es uns, mit der KI zu arbeiten – und nicht für sie? Noch ist offen, in welchen Bereichen KI uns tatsächlich klüger macht und wo sie uns vielleicht sogar zurückwirft. Welche (neuen) Kompetenzen brauchen wir, um mit KI souverän umzugehen?
Ein Gespräch von Katrin Unger mit unserem neuen Teammitglied Hendrikje Brüning über ihre Erfahrungen, Herausforderungen und Strategien als Beraterin und Lehrende.
Zwischen Faszination und Skepsis: Der Umgang mit KI
Katrin: Du berätst und begleitest Organisationen bei Veränderungsprozessen und bist zudem Lehrbeauftragte für Personalmanagement, Organisation und Führung – Wie erlebst du in diesen Rollen aktuell den Umgang mit KI – was beschäftigt dich besonders?
Hendrikje: Was den Umgang mit KI angeht, bin ich immer zweigeteilt: Ich finde, es macht keinen Sinn, sich zu verweigern. Gleichzeitig bin ich überrascht, wie wenig Skepsis manche Entwicklungen bei vielen Menschen auslösen. Auch wenn ich keine KI-Expertin bin, so bin ich doch in allen meinen Rollen damit konfrontiert, damit umzugehen. Ein Meme bringt mein Gefühl auf den Punkt: „Ich will, dass KI Wäsche und Abwasch macht, damit ich mehr Zeit für coole und kreative Dinge habe, aber im Moment macht KI coole und kreative Dinge und ich mache immer noch die Wäsche und den Abwasch.“
Das beschäftigt mich: Wie kann ich KI für mich nutzen, ohne mich in ihren Dienst zu stellen? Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir die Kontrolle behalten und bewusst entscheiden, wann und wie wir KI einsetzen und auch wann und wie wir sie mit unseren Daten füttern. Nur so können wir verhindern, dass wir uns von Algorithmen und automatisierten Entscheidungen leiten lassen, ohne deren Auswirkungen zu verstehen oder zu hinterfragen. E s geht darum, die eigenen Kompetenzen zu stärken und KI gezielt als Unterstützung zu nutzen – nicht als Ersatz für kritisches Denken, Kreativität oder menschliche Urteilskraft.
Wichtig ist also immer wieder zu hinterfragen: Wo ist KI hilfreich und wo muss ich skeptisch bleiben? Für mich ist wichtig, dass KI ein Werkzeug bleibt, das uns unterstützt, aber nicht unsere Selbstständigkeit untergräbt. Gesellschaftlich halte ich das für entscheidend: Wenn wir lernen, KI bewusst und reflektiert einzusetzen, gewinnen wir Freiräume. Wenn wir KI dagegen bedenkenlos für alles Mögliche nutzen, laufen wir Gefahr in eine unreflektierte Abhängigkeit zu geraten. Wir riskieren, unsere Gestaltungsmacht und wichtige Kompetenzen zu verlieren.
Gesellschaftliche Narrative und die Kraft der KI – wie geht eine kritische Auseinandersetzung und konstruktive Nutzung
Digitale Kompetenzen und Medienkompetenz
Hendrikje: Es werden ja schon die sogenannten Future Skills benannt, viel rund um digitale Kompetenzen und den Umgang mit Veränderung. Ich denke, auf individueller Ebene braucht es zusätzlich grundlegende Medienkompetenz und – leider – auch ein technisches Grundverständnis. Leider sage ich, weil viele Menschen darauf wenig Lust haben. Aber wenn ich die Technik hinter Anwendungen nicht ansatzweise verstehe, weiß ich auch nicht, was möglich ist. Dann kann ich schlecht einschätzen, womit ich konfrontiert werde: Wer ist da öffentlichkeitswirksam unterwegs? Mit welcher Agenda und welchen technischen Möglichkeiten?
Manchmal überrascht mich, wie wenig beachtet wird, wie selektiv und selbstverstärkend Algorithmen in sozialen Medien wirken – auch wenn es meistens bekannt ist. Wenn ich glaube, dass das die Wirklichkeit ist und nicht nur ein erschreckend kleiner Ausschnitt, dann ordne ich Dinge anders ein.
Auch medienpsychologische Grundkenntnisse sind wichtig: Was macht das mit mir, wenn ich bestimmte Sachen immer und immer wieder sehe und höre? Sie werden glaubwürdiger, selbst wenn ich ihnen am Anfang skeptisch gegenüberstehe – das ist der sogenannte Wahrheitseffekt oder Illusory Truth Effekt. Das halte ich auch im Umgang mit KI für wichtig, denn auch da lernt und selektiert die Technik im Hintergrund.
Katrin: Hier sind wir dann auch als Berater*innen gefragt, entsprechend zu sensibilisieren, Kompetenzaufbau zu stärken, Räume zur kritischen Auseinandersetzung zu schaffen und Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Ob in der Begleitung von KI-Transformationen in Organisationen oder durch neue Formate in Sachen „Prototyping AI“, die ein spielerisches, aber eben bewusst auch kritisches Ausprobieren und Reflexion ermöglichen.
Kritisches Denken als zentrale Zukunftskompetenz
Katrin: Ich erinnere mich noch gut an unsere ersten Gespräche zu KI, u.a. auf unserer Lernwerkstatt im letzten Sommer. Dort hast du besonders kritisches Denken als zentrale Zukunftskompetenz hervorgehoben. Wie kann diese Fähigkeit im Umgang mit KI gestärkt werden – in Bildung, Beratung und Organisationsentwicklung? Gibt es Ansätze, die dich besonders überzeugen? Was stimmt dich zuversichtlich, was bereitet dir Sorge?
Hendrikje: Neben den genannten Future Skills braucht es die Bereitschaft, es sich im eigenen Kopf immer wieder unbequem zu machen – das meine ich mit kritischem Denken. Ich habe eine Statistik gesehen, laut der nur ein Drittel der KI-nutzenden Personen überprüft, ob die Vorschläge und Ergebnisse der KI wirklich tragbar sind. Der Rest übernimmt sie einfach. Das halte ich für einen nachlässigen Umgang, wenn auch nachvollziehbar. Es ist bequemer, Sachen zu übernehmen, besonders wenn sie das bestätigen, was ich ohnehin gedacht habe. Das macht mir Sorgen, denn so reproduzieren und verstärken wir immer wieder die gleichen Antworten und Narrative. Gerade in einer Welt, in der wir mit Informationen geflutet werden und alles sehr schnell kommuniziert wird, leidet darunter die Qualität.
Ich sehe Potenziale und Chancen darin, dass wir lernen, immer wieder zu fragen und kritisch zu hinterfragen. Für mich ist deshalb das Ableiten von Konsequenzen ein wichtiger Teil des kritischen Denkens: Was passiert, wenn ich mit dem gehe, was ich hier bekomme? Wenn ich das immer wieder einbeziehe, kann ich korrigieren, absichern, hinterfragen und einordnen lassen. So entsteht eher eine Perspektiverweiterung als eine -beschränkung.
Menschliches Wissen im Zeitalter der KI
Katrin: Du hast betont, wie wichtig ein selbstbestimmter Umgang mit KI ist. Wie schaffen wir es, eine wie du es gerne nennst „breite Wissenslandkarte“ aufzubauen und zu pflegen, während KI-Systeme immer größere Teile unserer Informationsverarbeitung übernehmen? Welche Rolle spielt menschliches Wissen künftig – und wie schützen wir es vor dem Verschwinden hinter scheinbar perfekten Systemantworten?
Hendrikje: Es ist ein großes Potenzial, dass KI Informationen und Details hat, aber wir sollten den Kontext im Auge behalten können. KI sollte als Sparringspartner in der Entwicklung von Gedanken verstanden werden, nicht als Ersatz. Wir müssen nicht alle Details auswendig können – das kann KI liefern – aber wir müssen wissen, wonach wir suchen und fragen können. Wir müssen Zusammenhänge erkennen und die KI herausfordern. Dann kann daraus eine Bereicherung entstehen, und ein solches Vorgehen ist auch für beraterisches Arbeiten hilfreich. Wenn etwa ein Team in einer Organisation eine neue Diversity-Strategie entwickeln möchte, kann KI dabei unterstützen, aktuelle Studien, Best-Practices und rechtliche Rahmenbedingungen bereitzustellen. Die Berater*innen und Akteur*innen können dann kritisch prüfen, welche Empfehlungen und Informationen tatsächlich diskriminierungssensibel und inklusiv sind, und gezielt nachfragen, ob etwa marginalisierte Perspektiven ausreichend berücksichtigt werden oder an welchen Stellen, die vorgeschlagenen Maßnahmen bestehende Ausschlüsse oder Vorurteile reproduzieren. So kann KI als Sparringspartner dienen, während die bewusste, diskriminierungskritische Einordnung und Weiterentwicklung weiterhin in menschlicher Verantwortung liegen.
Das hat auch gerade eine Gruppe Studierender in einem meiner Kurse festgestellt: Die haben die Arbeit mit KI für das Finden und Verstehen von relevanten Studien eingesetzt und reflektiert, dass sie in der Lage sein müssen, präzise Fragen und Anweisungen zu formulieren – sonst kommen unzufriedenstellende Antworten heraus. Ihr Fazit war: Sie müssen die richtigen Impulse setzen können und dafür brauchen sie eine Überblick. Und sie müssen immer noch genug wissen, um einzuschätzen, ob das, was in den Antworten steht, so stimmen kann. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt für uns: Was brauchen wir, um präzise und gute Fragen stellen zu können? Auch dafür haben sie KI teils als Gesprächspartner genutzt, aber immer wieder auch mit anderen Quellen rückgekoppelt.
Insgesamt denke ich, dass wir zukünftig vielleicht stärker mit vernetztem Wissen in die Breite gehen, und KI punktuell tiefergehende Details liefern und Anregungen zum weiteren Kontextualisieren liefern kann. Das heißt aber auch: Ich brauche Überblickswissen. Ich kann keine Impulse in die KI setzen, wenn ich Kontexte nicht kenne, und muss Anhaltspunkte in den Ergebnissen der KI erkennen.
Ein weiterer Punkt ist für mich auch der moralische Kompass. KI liefert Antworten, stellt sich aber nicht selbst in Frage. Das bleibt ein menschlicher Wissensbereich: zu fragen, was (noch) nicht in der Antwort steht.
Risiken für vulnerable Gruppen und gesellschaftliche Gerechtigkeit
Katrin: Bei compassorange ist Diversity Querschnittsaufgabe für uns als Berater*innen und auch in allen unseren Formaten. Entsprechend ist ein diversitätssensibler Blick für uns wichtig. Aus meiner Perspektive hat KI das Potenzial Sichtbarkeit für wenig repräsentierte Perspektiven und Erfahrungen zu schaffen – und birgt gleichzeitig die Gefahr, diese weiter unsichtbar zu machen. Welche Risiken siehst du für vulnerable Gruppen, wenn KI-Systeme auf der Grundlage von Daten, die historische Benachteiligungen widerspiegeln, gesellschaftliche Wirklichkeiten mitprägen? Was müsste passieren, damit die fortschreitende digitale Transformation nicht nur bestehende Machtverhältnisse reproduziert, sondern zu mehr statt weniger Teilhabe und Gerechtigkeit führt?
Hendrikje: Wie an vielen Stellen schon benannt, ist immer die Frage, worauf KI für Ergebnisse zurückgreift und wie sie qualitativ damit umgeht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie sich aus dem speist, was viel und häufig vorkommt. Da ist es wichtig, zu schauen: Wer speist da was ein? Und wieder die Haltung des kritischen Denkens: Was fehlt? Wie kann ich danach fragen und die KI herausfordern?
Das sind sehr grundlegende Gedanken, die bereits vielfach benannt wurden. Gleichzeitig beobachte ich, dass Organisationen im Einsatz von KI das noch nicht routiniert tun. Auch die eigene Kritikfähigkeit der KI wird sich weiterentwickeln, aber auch das muss ich einfordern, damit KI lernt. Ich denke, das ist ein erster Schritt, um sicherzustellen, dass es zu Perspektivvielfalt und nicht zu -beschränkung kommt. Die KI reproduziert in erster Linie; einordnen muss immer noch ich – auch wenn es vielleicht im Sparring mit der KI geschieht.
Katrin: Liebe Hendrikje, es war wie immer eine Freude mich mit dir zu KI auszutauschen. Ich danke dir für deine Gedanken und Impulse!
Fazit
Selbstbestimmt mit KI umgehen heißt, sie als Werkzeug zu nutzen – nicht als Ersatz für unseren eigenen Verstand. Medienkompetenz, kritisches Denken und ein moralischer Kompass sind unverzichtbar, um den digitalen Wandel aktiv und verantwortungsvoll mitzugestalten. compassorange begleitet Organisationen und Teams dabei, diese Kompetenzen zu entwickeln und den Wandel gemeinsam zu meistern.